Auf dem Dancefloor mit Barack Obama

In der Disco der Pet Shop Boys geht es um Party,


Politik und Privates. Ihr neues Album «Yes»


ist die Rückkehr zur grossen Form.




Das ist die Discomusik zum Frühling. Die Beats schiessen auf, die Melodie ist von vorsichtiger, aber frischer Euphorie. «Did You See Me Coming?» fasst das Gefühl, wenn aus einer Verliebtheit eine (erwiderte) Liebe wird, in einen knappen, umstandslosen Popsong. Und mehr noch: Er setzt die Pace für dieses zehnte Album der Pet Shop Boys, das im Unterschied zu den letzten Arbeiten des britischen Duos optimistisch auf die Welt blickt und die Popmusik und die Liebe feiert. Und zwar mit zündenden Dancepop-Petarden, die im Fall von «All Over the World» sogar schon in die Hitparaden der Welt vorausstürmen: «This is a song about boys and girls. / You hear it playing all over the world.»




Überwältigend melodiös




Der Song ist so hymnisch, dass es gut und gerne klappen könnte. «Pop ist eine Kunstform, die sehr nah am Zeitgeist entlang surft und in ihren besten Momenten alles in ein paar Worten und einer Melodie auszudrücken imstande ist», hat Chris Lowe, die eine Hälfte der Pet Shop Boys, im Interview mit der Zeitschrift «Spex» gesagt. Dass «Yes» nicht bloss in seinem Titel, sondern in seiner ganzen überwältigenden Melodiosität auf den Optimismus anspielt, den Barack Obama nährt, hat die Band ebenfalls in mehreren Interviews bestätigt. Und der fabelhafte Einzeiler, den Neil Tennant in «Did You See Me Coming?», dieser Ode auf eine neue Liebe, singt, könnte ebenso gut auf den jungen, unverbrauchten US-Präsidenten gemünzt sein: «You don`t have to be in Who`s Who to know what`s what.»




Dass zwischen den Blitzen der Discokugel plötzlich Barack Obama vor einem steht, ist nicht ungewöhnlich für die Pet Shop Boys. Neil Tennant und Chris Lowe haben die Disco ja nie als eskapistischen Raum begriffen, in dem sich alles nur um den tanzenden Körper dreht. Ihr Discopop war und ist eigenartig körperlos und nur sehr unterschwellig sexuell aufgeladen. Ihre Tänzer sind komplette, denkende Wesen mit ihrem Liebeskummer, ihrer politischen Wut, ihrem Weltschmerz: «Sometimes you`re better off dead», hiess es 1985 in ihrem ersten Hit «West End Girls», «there`s a gun in your hand and it`s pointed at your head». Nicht gerade die offensichtlichste Zeile, um in den 80er-Jahren eine Eurodance-Karriere zu lancieren.




Die besten Alben der Pet Shop Boys («Behaviour», «Very») sind Schwärme von englisch zugeknöpften, von halb euphorischen, halb introvertierten Discopopsongs. Party, Politik und Privates verschwimmen, und prompt schwächelte die Band zuletzt auf «Fundamental», als die politischen Töne lauter wurden. Zum Verlesen eines Manifests taugt der Dancefloor eben doch nicht. «Yes» knüpft nun wieder an die stärksten Arbeiten des Duos an, es ist kommerziell und kunstvoll, smart und sentimental, anspielungsreich und voller prägnanter Einzeiler, die dann doch nie einfach zu knacken sind: «Too much of everything is never enough» heisst es in «Love etc.», und das könnte das vor Überschwang schäumende Arrangement des Stücks ebenso meinen wie die materiellen Reichtümer, von denen Neil Tennant singt, man brauche sie nicht, aber sie könnten durchaus «helfen». Man denkt an die Wirtschaftskrise, während das Stück hartnäckig froh bleibt.




Bei Kate Moss in der Hölle




Produziert wurde «Yes» von Xenomania, und auf der ersten Hälfte folgt das Album dem jubelnd eingängigen Discopop, den das Studiokollektiv in den letzten zehn Jahren für britische Hitparadenstars wie Girls Aloud und die Sugababes, aber auch für Kylie Minogue oder Sophie Ellis-Bextor eingerichtet hat. Mit den letzten fünf Songs aber wird das Album vertrackter und dunkler – und noch stärker. «Pandemonium» – das die Pet Shop Boys für Kylie Minogue schrieben, die ihn ablehnte – erzählt aus der Perspektive von Kate Moss von ihrer Liebesaffäre zum Rocksänger Peter Doherty. Es ist ein Lied aus der Hölle, aber mit himmelstürmender, von strammen Acid-House-Beats und goldenen Bläsern eskortierter Melodie. Es folgt mit «The Way it Used to be» das vielleicht schönste und eleganteste Lied der Platte, ein trauriger Gesang auf eine Liebe, die nicht bricht, sondern sich still verflüchtigt. Das Synthesizersolo tänzelt ganz befangen auf engstem Raum.




Und auch die politische Hoffnung wird etwas klamm, ganz zum Schluss. «That`s it. The End», singt Neil Tennant in «Legacy», es sind die Worte, mit denen Tony Blair in London seine Abschieds- rede vor dem Parlament einleitete. Im erwähnten Interview mit «Spex» formulierte Neil Tennant sein Unbehagen über den ersten Pop-affinen Premier: «Wir leben in Grossbritannien mittlerweile in einer gestischen Gesellschaft; es geht nur noch um Gesten, nicht um Haltungen. Hoffentlich wird Barack Obama mehr als nur Gesten zeigen.»

Taken from: Berliner Zeitung
Interviewer: Christoph Fellmann