Die Pet Shop Boys betreten erneut unbekanntes Terrain. Dass sie wandlungsfähig sind, haben sie mit ihren Platten und Projekten der letzten Jahre eindrucksvoll bewiesen. Nun also zum ersten Mal Filmmusik, zu Sergei Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin, einem russischen Stummfilmklassiker über eine Matrosen-Revolte aus den 1920ern. Die erste Originalmusik dazu stammt vom österreichischen Filmmusik-Komponisten Edmund Meisel. Des Öfteren wurde der Film mit einem Potpourri klassischer Musikstücke unterlegt. Knapp achtzig Jahre nach der Uraufführung des Films nun erstmals wieder ein eigener Soundtrack: In Zusammenarbeit mit Arrangeur Torsten Rasch, der unter anderem bereits Rammstein-Songs in Orchesterlieder verwandelt hatte (Mein Herz brennt“), komponierten Neil Tennant und Chris Lowe die Musik, um die es hier gehen soll.
Man muss den Film gesehen haben!“, schreit die innere Stimme der Rezensentin, Die CD ist ja nur ein Teil! Völlig unzulänglich scheint deshalb das Unterfangen, darüber zu schreiben, ohne auf den Film einzugehen. Um das Zusammenwirken von Bildern und Musik geht es schließlich, um die Umsetzung visueller Eindrücke in Klänge, um das Erschaffen emotionaler Regungen zu stummen Bildern.“ Die CD alleine, das ist wie Lyrics ohne Song, wie ein Drehbuch ohne Film, wie ein Tanz ohne Musik.
Doch blicken wir der Realität ins Auge: genau diese Unvollkommenheit ist das Schicksal, das die Klänge zu Panzerkreuzer Potemkin in erster Linie erwartet. Das Live-Erlebnis der Filmaufführung mit Tennant, Lowe und den Dresdner Sinfonikern mag stark beeindruckt haben; auch die DVD wird viele Abnehmer finden, doch wir unzähligen Pet Shop Boys-Fans werden eher selten vor dem Bildschirm sitzen und das Gesamtkunstwerk auf uns wirken lassen. Die CD jedoch wird in unseren HiFi-Anlagen rotieren, und wir werden sie schließlich hören wie all die anderen Pet Shop Boys-Alben auch. Das war bestimmt auch den Herren Tennant und Lowe klar, als sie die CD aufnahmen. Und so bekommt die zunächst absurde Frage eine spannende Relevanz: Funktioniert Battleship Potemkin ohne den Film?
Ein ganz klares Ja schon beim ersten Hören gibt es naheliegenderweise für die beiden Vocal Tracks No time for tears und After all (The Odessa Staircase). Letzteres stellt ein Paradebeispiel für das Talent der Briten dar, unverwechselbare Harmoniewechsel zu kreieren, die einen enormen Suchtfaktor haben. Wie genial, dass der Song auch nach sieben Minuten noch nicht zu Ende ist! Die instrumentalen Stücke klingen nur selten wie typische Filmmusik“, allein schon wegen der ständigen Präsenz durchgehender Beats, dafür umso mehr nach typischem Pet Shop Boys-Sound. Der vorantreibende Puls von Nyet dürfte trotz verstörender Soundeffekte — oder gerade deswegen — problemlos in jedem anspruchsvollen Club funktionieren. The squadron klingt so, als ob der Samurai in Autumn zusammen mit Marc Almond auf einem OMD-Konzert tanzen würde.
Insgesamt ist der Soundtrack eine dramaturgisch runde Angelegenheit: Der Analytiker wird voll Freude motivisch-thematische Arbeit entdecken; der Zuhörer spürt den inneren Zusammenhang, fühlt den Spannungsbogen und freut sich über wiederkehrende Elemente und über raffinierte Soundexperimente. In vielen Stücken spürt man auch ohne Film die Spannung, Bedrängnis und Bedrohlichkeit der Handlung. Vor allem Drama in the harbour sorgt für Gänsehaut.
Tennant und Lowe ist es ja schon des öfteren gelungen, Discobeats mit Streichern zu verkuppeln, und immer war die resultierende Affäre in gleichem Maße aufregend, harmonisch und sinnlich. Hier dürfen sich Computer und Orchester endlich in epischer Breite einander hingeben, gelegentlich angeregt durch einen Seitensprung mit klaren Klavierklängen. Und wenn dann plötzlich unvermutet Tennants Stimme hinzukommt und sich glatt und schmeichelnd über die instrumentalen Sounds legt, fühlt man, dass sie die aufregendste aller Klangfarben ist, und man sehnt sich nach mehr. Das gibt es erfreulicherweise schon bald: 2006 kommt es ein neues Pet Shop Boys-Album heraus. Das gelungene Experiment Battleship Potemkin weckt große Vorfreude darauf.
Fazit: Auch ohne Film ist Battleship Potemkin ein Genuss. Tennant und Lowe beweisen im neuen musikalischen Genre einmal mehr, dass sie das Zusammenspiel von Klangfarben, Beats und Melodien meisterhaft beherrschen.
Taken from: JustMag.de
Interviewer: Katharina Litschauer