Alles neu beim Alten

Am Sonntagabend sind die Pet Shop Boys im Stuttgarter Theaterhaus aufgetreten. Und sie hatten jede Menge alter Hits für ihre Fans im Repertoire: Darunter Songs wie ‘Go west’, ‘It’s a sin’ und ‘Always on my mind’. Unser StZ-Kritiker war live für Sie dabei.




Am Anfang sind zwei große Würfel, zusammengesetzt aus lauter kleinen Würfeln. Macht scheinbar nicht viel her. Die Pet Shop Boys hatten ja immer in Opulenz geschwelgt. Bei ihren Studioproduktionen und auf der Bühne. Und jetzt diese Reduktion? Eine Sparversion vergangener großer Shows?




‘Yes’ hieß knapp und lapidar ihre aktuelle CD. Von dort aus ist’s nicht weit zu ‘Yes, we can’, einem Slogan, dessen sich jetzt eine ganze Supermacht befleißigt. Werbebotschaften. Werbung in eigener Sache. Und der Glaube daran. Die Werbewelt liebt halt das Zugespitzte. Die Pet Shop Boys waren darin immer gut.




Andererseits loben sie auf ‘Yes’ die Entsagung von der Konsumwelt, preisen gar die Wonnen des Verzichts. Und jetzt treten sie ja auch im Theaterhaus statt in der Arena auf, – weil es terminlich eben so reingepasst habe, heißt es. Ob die Finanzkrise auch mal eben so reingepasst hat? Ja, wir können damit fertig werden, wir erfinden uns neu, wir setzen uns nach dem Zerfall wieder zusammen, wir erschaffen die Welt noch einmal. Ja. So lautet die Botschaft. Allein, was macht der Glaube?




Ist die Welt ein Zauberwürfel, der im Moment die Konstellation wechselt? Oder sind wir Menschen nur kleine und größere Würfelchen, die sich zu jeder Konstellation beliebig zusammenschieben lassen, die geschoben werden, ohne es zu merken, weil es halt logistisch eben mal passend erscheint? Teile einer größeren Skulptur, ohne Identität, quadratisch, praktisch und nur in dieser Hinsicht gut? Gefangen. Befangen in viereckigem Denken. Oder war das alles immer schon so, bleibt in Wirklichkeit alles nur beim alten?




Es bleibt gar nichts beim alten in der Show der Pet Shop Boys. Kein Klötzchen bleibt da auf dem andern. Sie sind zwar auf die Bühne gekommen mit einem viereckig futuristischen Kästchen um Kopf. Vier Figuren. Dabei sind sie ja zu zweit. Ein Luxus. Doch die Kästchen um den Kopf sind bald weggeworfen. Die großen Quadrate zerfallen zu vielen kleinen und wechseln nun die ganze Zeit über die Zusammensetzung, sie fügen sich zu immer neuer Gestalt, von fleißigen und gut sichtbaren Technokraten hinter den Kulissen hin und hergeschoben. Diese scheinen in ihren weißen Kitteln genau zu wissen, wie sich’s am besten fügt. Nur manchmal erscheinen sie ratlos und das Chaos regiert für Momente.




Minimalismus, Melancholie, Euphorie und kühle Distanz




Und die Pet Shop Boys? Welche Rolle spielen sie? Sie stellen sich irgendwann mal artig vor: Neil Tennant, Gesang, Chris Lowe, Tasten. Ein bisschen älter geworden in den vergangenen 30 Jahren, die Glatze unterm Hut bleibt da nicht dauerhaft verborgen. Ansonsten bleibt alles beim alten. Scheinbar. Minimalismus schwelgt in reichen Bildern, Melancholie tanzt auf Hedonismus, Euphorie paart sich mit kühler Distanz. Die alten Hits in neuem Gewand. Neue Titel von altem Zuschnitt. Nun ja, auch das ward bei vergangenen Tourneen schon mal gehört: Die Songs sind einerseits neu arrangiert, kommen direkter, vermeiden die großen Räume der Studioproduktionen wirken direkter und sozusagen ‘clubmäßiger’.




Andererseits sind sie auf diese Weise noch direkter dran am billigen Klischee, am Eurodisco, am Trash, an der drittklassigen Fernsehshow. Maschinen laufen in Programmen ab. Alles festgelegt. Als Parodie? Widersprüche tanzen, Sequenzen zucken, – mehrfach übereinander geschichtet, – Dancefloor, tausend Lichtlein flackern, rhythmisch, gleichgeschaltet, alles im Strom der Energie. Elektro. ‘Heart’, jawohl, im Bühnenhintergund sind Herzlein projeziert.



Brav. Zu ‘Love comes quickly’ lassen Comic-Figuren die Masken fallen und ‘Love etc.’ kommt als ein Et Cetera danach. Die Leidenschaft, ein schöner Witz. Es springen jetzt vier Figuren einher. Tanzen um die zwei Jungs herum auf Würfeln. In scheinbar wilder Choreographie. ‘Go west’, natürlich, das muss sein, ‘Always on my mind’, nie aus dem Sinn gehend, ‘Suburbia’, ‘It’s a sin’ und ‘West End Girls’. Neues ist alt, alt ist neu. Alles ist Schein. Eine flüssige Show von A bis Z. Nur die Pet Shop Boys bleiben die Pet Shop Boys.

Taken from: Stuttgarter Zeitung
Interviewer: Ulrich Bauer